Eingebildetsein (العُجْب)

BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM

 

Definition von Eingebildetsein (العُجْب)
Eingebildetsein („Sich-toll-finden“) (العُجْب) bedeutet, dass man sich selber und seine eigenen Taten immer gut findet, egal ob sie wirklich gut sind oder nicht. D. h. man ist von sich voreingenommen. Im Unterschied zur Arroganz bzw. dem Hochmut erhebt sich der Eingebildete jedoch nicht über andere Menschen bzw. deren Taten.
Anas berichtet, dass der Prophet (s.a.s.) gesagt hat:

ثلاث مهلكات ، و ثلاث منجيات ، فقال : ثلاث مهلكات : شح مطاع و هوى متبع و
إعجاب المرء بنفسه . و ثلاث منجيات : خشية الله في السر و العلانية و القصد في
الفقر و الغنى و العدل في الغضب و الرضا
„…drei Dinge, die einen ins Verderben stürzen:

  • großer Geiz, dem man gehorcht,
  • Willkür, der man folgt und
  • dass man von sich selbst beeindruckt ist…“(1)


Jemand, der diese Krankheit hat, sieht alles, was er hat, seinen Erfolg, seine materiellen Güter usw. als eigene Errungenschaft an und nicht als Gnade Allahs. Allah berichtet im Koran über solch einen Mann vom Volke Israel zur Zeit von Moses (a.s.):

Wahrlich, Korah (arab. Qarun) gehörte zum Volke Moses‘, und doch unterdrückte er es. Und wir gaben ihm so viel Schätze, dass ihre Schlüssel sicher eine Bürde für eine Schar von Starken gewesen wären. Da sagte sein Volk zu ihm: „Freue dich nicht; denn Allah liebt diejenigen nicht, die frohlocken. [28:76]
Sondern suche in dem, was Allah dir gegeben hat, die Wohnstatt des Jenseits; und vergiss deinen Teil an der Welt nicht; und tue Gutes, wie Allah dir Gutes getan hat; und begehre kein Unheil auf Erden; denn Allah liebt die Unheilstifter nicht.“[28:77]
Er sagte: „Es (die Schätze) wurde mir nur um des Wissens willen, das ich besitze, gegeben.“ Wusste er denn nicht, dass Allah vor ihm schon Geschlechter vernichtet hatte, die noch gewaltigere Macht und größeren Reichtum als er besaßen? Und die Schuldigen werden nicht nach ihren Sünden befragt.[28:78]
So ging er denn in seinem Schmuck hinaus zu seinem Volk. Jene nun, die nach dem Leben in dieser Welt begierig waren, sagten: „O wenn wir doch das gleiche besäßen wie das, was Korah gegeben wurde! Er hat wahrlich großes Glück.“ [28:79]
Die aber, denen Wissen zuteil geworden war, sagten: „Wehe euch, Allahs Lohn ist besser für den, der glaubt und gute Werke tut; und keiner wird ihn erlangen außer den Geduldigen.“ [28.80]
Dann ließen Wir ihn von der Erde verschlingen, und (auch) sein Haus; und er hatte keine Schar, die ihm gegen Allah helfen konnte, noch konnte er sich (selbst) retten. [28:81]

حَدَّثَنَا قُتَيْبَةُ بْنُ سَعِيدٍ حَدَّثَنَا الْمُغِيرَةُ يَعْنِي الْحِزَامِيَّ عَنْ أَبِي الزِّنَادِ عَنْ الْأَعْرَجِ عَنْ أَبِي هُرَيْرَةَ
أَنَّ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ قَالَ: بَيْنَمَا رَجُلٌ يَتَبَخْتَرُ يَمْشِي فِي بُرْدَيْهِ قَدْ أَعْجَبَتْهُ نَفْسُهُ فَخَسَفَ اللَّهُ بِهِ الْأَرْضَ فَهُوَ يَتَجَلْجَلُ فِيهَا إِلَى يَوْمِ الْقِيَامَةِ
Abu Huraira berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.s.) gesagt hat: „Während ein Mann in seinen beiden (übereinanderliegenden) Gewändern dahinstolziert und dabei von sich selbst beeindruckt ist, lässt Allah die Erde ihn verschlingen. Und so windet er sich in ihr (d. h. in der Erde) bis zum Tag der Auferstehung“.

(Buchari 3485, 5789/Muslim 2088)

Nawawi sagt zur Erläuterung dieses Hadithes:
„Es wird gesagt, dass es möglich ist, dass dieser Mann von dieser Umma ist. Jedoch gibt es auch die Ansicht, dass dies ein Bericht über einen Mann aus einer früheren Umma war – was richtig ist. Gemäß dieser letzteren Ansicht stellte Buchari den Hadith in den Abschnitt über Berichte vom Volk Israel. Und Allah weiß es besser.“

Es wird berichtet, dass Ibn Masud gesagt hat:
„Das Verderben kommt von zwei Dingen: der Verzweiflung und dem Eingebildetsein (العُجْب)“.

Ibn Qudama:
Diese zwei Dinge werden hier zusammen erwähnt, weil das Heil darin liegt, dass man (zu Gutem) strebt und sich anstrengt. Derjenige aber, der verzweifelt ist, tut nichts mehr, und derjenige, der von sich voreingenommen ist, denkt, dass er bereits sein Ziel erreicht hat und strebt (auch) nach nichts mehr.

Eingebildetsein (العُجْب) führt zum Hochmut (arab. kibr), wenn man es nicht behandelt
Wenn man die Krankheit des Eingebildetseins (العُجْب) nicht behandelt und unbeachtet lässt, kann sie sich zu einer noch schlimmeren Krankheit entwickeln: dem Hochmut (arab. kibr).
Über den Hochmut (arab. kibr) hat der Prophet (s.a.s.) gesagt, dass keiner ins Paradies kommt, der auch nur ein winziges Stück Hochmut in seinem Herzen hat.
Deswegen muss man schleunigst etwas dagegen tun, wenn man festgestellt hat, dass man diese Krankheit hat.
Bevor wir das Heilmittel beschreiben, wollen wir jedoch

  1. die Auswirkungen dieser Krankheit beschreiben, an denen man feststellen kann, dass man diese Krankheit besitzt und
  2. die Ursachen für Eingebildetsein kennenlernen, da ein Heilmittel zu einem großen Teil aus der Vermeidung einer weiteren Wirkung von Ursachen für die charakterliche Krankheit besteht.

Auswirkungen der Krankheit des Eingebildetseins (العُجْب)
(U. a. aus Nuh, Band 1, S.133)
An folgenden Anzeichen kann man feststellen, dass diese Krankheit vorliegt:

  1. Man stellt sich immer selbst als gut und makellos dar.
  2. Man will sich immer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit schieben. Beim Diskutieren unterbricht man andere.
  3. Man ist erbost darüber, wenn man kritisiert wird.
  4. Man freut sich, von den Fehlern und Schwächen anderer zu hören, besonders über Fehler und Schwächen seiner eigenen Gefährten.

Ursachen, die zu Eingebildetsein führen
(Aus Nuh, Band 1, S.118ff.)
Um der Krankheit des Eingebildetseins vorzubeugen – bei sich selber und bei Leuten, für die man erzieherisch verantwortlich ist -, ist es wichtig, dass man die Ursachen kennenlernt, die zu dieser Krankheit führen können. Ebenfalls kann man daraus auch Maßnahmen zur Heilung dieser Krankheit ableiten, wenn diese bereits vorhanden ist.
Zu den wichtigsten Ursachen gehören die folgenden:

1. Das Elternhaus bzw. wo man aufgewachsen ist: Wenn einer oder beide Elternteile sich immer selbst loben, wütend werden bei Kritik oder eine der übrigen Eigenschaften dieser Krankheit haben, kann es sein, dass das Kind davon beeinflusst wird und diesen Charakterzug übernimmt.

2. Übermäßiges, öffentliches Lob von anderen: Wenn man sich nicht über die Schlichen des Teufels bewusst ist und dem Lobenden glaubt, kann dies bei einem selbst zum Eingebildetsein führen. Deshalb muss man immer sehr aufpassen, wenn man von anderen Menschen gelobt wird und dies als Prüfung von Allah, dem Erhabenen, sehen. Im Kapitel über das Übel der Zunge wurde diese Thematik bereits behandelt.

3. Umgang mit Leuten, die eingebildet sind:

عَنْ أَبِي هُرَيْرَةَ قَالَ: قَالَ رَسُولُ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ: الرَّجُلُ عَلَى دِينِ خَلِيلِهِ فَلْيَنْظُرْ أَحَدُكُمْ مَنْ يُخَالِلُ
Abu Huraira berichtete, dass der Gesandte Allahs (s.a.s.) gesagt hat: „Der Mann hat den Charakter seines engsten Freundes. Drum soll jeder von euch schauen, wen er sich als engsten Freund nimmt.“

(Tirmidhi 2378/hasan)

4. Wenn man von Allah eine Gnade bekommen hat (Erfolg, Reichtum, Schönheit usw.) und dabei vergisst, dass es von Allah kommt und nicht von einem selbst. Die oben erwähnte Geschichte von Korah, dem sehr reichen Mann zurzeit Moses (a.s.) ist ein Beispiel hierfür.

5. Wenn man eine Führungsposition hat, bevor man innerlich reif ist: Umar (r.) sagte: „Lernt die Religion richtig verstehen, bevor ihr eine Führungsposition inne habt“.

6. Unkenntnis des menschlichen Charakters und der islamischen Charakterlehre: Man sieht häufig, dass gerade neue Muslime, die sich mit voller Energie in die äußerliche Umsetzung der islamischen gottesdienstlichen Handlungen stürzen, sich aber überhaupt nicht mit der Bildung ihres Charakters beschäftigen, nach kurzer Zeit sehr von sich voreingenommen sind. Das Problem ist dann, dass auch keine Fortentwicklung stattfindet, da, wie oben beschrieben, solche Leute auch keine Ratschläge mehr annehmen.

7. Vornehme Abstammung, wobei man vergisst, dass dies vor Gott irrelevant ist: Dies passiert oft auch auf nationaler Ebene, dass Leute aus einem bestimmten Land, welches z. B. reich ist, sich allein aus diesem Grund als etwas Besonderes fühlen. Der Prophet (s.a.s.) sagte zu seiner Tochter Fatima (r.): „O Fatima, Tochter des Gesandten Allahs, bitte mich um was du willst, vor Allah kann ich dir in keinster Weise helfen. (D. h. du musst selber gute Taten tun.)“

8. Unkenntnis der Folgen oder Unachtsamkeit gegenüber den Folgen, die diese Krankheit nach sich zieht – wie z. B. die Weiterentwicklung zu Hochmut.

Die Heilung von dem Eingebildetsein („Sich-toll-finden“)
Folgendes gehört zu den wichtigsten Maßnahmen:

1. Sich bewusst machen, dass man selbst ohne Allah gar nichts machen könnte. Denn alles, was man hat, ist von Allah. Und selbst die Taten, die man verrichtet, hat Allah erschaffen. Man kann nur mit Erlaubnis Allahs irgendeine Tat verrichten. Es ist also kein Grund da, vor Allah stolz auf seine eigenen Taten zu sein.

Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Friede auf ihm, sagte: „Keiner von euch wird durch seine Taten gerettet!“ Die Leute fragten: „Du auch nicht, o Gesandter Allahs?“ Er erwiderte: „Ich auch nicht, (auch ich werde nur gerettet, ) wenn Allah mich in Seine Barmherzigkeit aufnimmt…“
(Buchari 6463/Muslim 2816)

2. Morgens und abends folgendes Bittgebet machen: „O Allah, was ich oder irgendjemand anderes von deinen Geschöpfen bekommen hat, das ist allein von Dir, Du hast keinen Teilhaber“.(2) Dann wird man sich immer bewusst, dass man selbst nichts für seinen Erfolg, sein Geld usw. kann.

3. Nicht von seinen eigenen Taten reden und versuchen, sich unauffällig zu verhalten und sich nicht in den Mittelpunkt stellen

4. Sich ständig zur Rechenschaft ziehen. Z. B. jeden Abend oder täglich zu einer bestimmten Zeit nochmal den Tag an sich vorbeigehen lassen und nachdenken, ob man sich in den Mittelpunkt gestellt hat, sich selbst gelobt hat oder wütend wurde, wenn jemand einen kritisiert hat. Falls ja, soll man Allah um Verzeihung bitten und sich vornehmen, es nicht mehr zu tun. Man soll Allah auch darum bitten, dass Er einen von dieser Krankheit heilen möge und einen zu einem demütigen Menschen werden lasse.

 

Fußnoten:
(1) Dies berichteten Baihaqi (Scha’ab al-iman 764), Bazzar u. a. Albani erklärte den Hadith für mindestens gut (hasan) in der Silsila as-Sahiha(1802). In der deutschen Übersetzung ist nur der Teil des arabischen Textes des Hadithes wiedergegeben, der für den hiesigen Kontext wichtig ist.
(2) حَدَّثَنَا أَحْمَدُ بْنُ صَالِحٍ حَدَّثَنَا يَحْيَى بْنُ حَسَّانَ وَإِسْمَعِيلُ قَالَا حَدَّثَنَا سُلَيْمَانُ بْنُ بِلَالٍ عَنْ رَبِيعَةَ بْنِ أَبِي عَبْدِ الرَّحْمَنِ عَنْ عَبْدِ اللَّهِ بْنِ عَنْبَسَةَ عَنْ عَبْدِ اللَّهِ بْنِ غَنَّامٍ الْبَيَاضِيِّ
أَنَّ رَسُولَ اللَّهِ صَلَّى اللَّهُ عَلَيْهِ وَسَلَّمَ قَالَ مَنْ قَالَ حِينَ يُصْبِحُ اللَّهُمَّ مَا أَصْبَحَ بِي مِنْ نِعْمَةٍ فَمِنْكَ وَحْدَكَ لَا شَرِيكَ لَكَ فَلَكَ الْحَمْدُ وَلَكَ الشُّكْرُ فَقَدْ أَدَّى شُكْرَ يَوْمِهِ وَمَنْ قَالَ مِثْلَ ذَلِكَ حِينَ يُمْسِي فَقَدْ أَدَّى شُكْرَ لَيْلَتِهِ
Abdullah bin Ghannam al-Bajadijj berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.s.) gesagt hat: „Wer morgens sagt „O Allah, was ich oder irgendjemand anderes von deinen Geschöpfen bekommen hat, das ist allein von Dir, Du hast keinen Teilhaber“, der hat die Dankbarkeit seines Tages verrichtet, und wer das entsprechende am Abend sagt, der hat die Dankbarkeit seiner Nacht entrichtet“.
Dies berichtete Abu Dawud (5073). Albani deklarierte den Hadith als schwach (daif). Die Gelehrten sagen jedoch, dass man in vorzüglichen Handlungen, die freiwillig und ohnehin auch ohne den entsprechenden Hadith klar innerhalb der Scharia stehen, auch entsprechend eines schwachen Hadithes handeln darf.

Quelle: تزكية – Tazkija / Charakterreinigung – Wie man ein guter Mensch wird
Diese Buch basiert zumeist auf dem klassischen Werk Mukhtasar Minhādsch al-Qāsidīn von Ibn Qudama al-Maqdisi (651-689 n. H.).
Dieses ist eine Kurzfassung des Werkes Minhādsch al-Qāsidīn (Der Weg der Strebenden) von Ibn al-Dschauzi (510-594 n. H.), welches widerum eine Redigierung des Werks إحياء علوم الدين / Ihja’ Ulum ad-Din (Die Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften) von Abu Hamid al-Ghazali (450-505 n. H.) ist.