BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM
Teil 2: Die Streitkräfte des Herzens
Aus Kimiya-i-Saadat vom Imam al-Ghazali -rahimahullah-
überarbeitet von Yahya ibn Rainer
Wisse: Der Leib ist das Königreich des Herzens, und in diesem Königreiche sind dem Herzen mancherlei Streitkräfte untertan:
Aber niemand weiß über die Heerscharen deines Herrn Bescheid außer Ihm
74:31
Das Herz ist geschaffen für die jenseitige Welt, und seine Aufgabe ist das Suchen seiner Glückseligkeit. Seine Glückseligkeit aber besteht in der Erkenntnis Allahs. Die Erkenntnis Allahs erlangt das Herz durch die Erkenntnis der Werke Allahs. Diese gehören der Sinnenwelt an, und da erlangt das Herz die Erkenntnis der Wunder der Welt durch die Sinne, diese aber bedürfen wiederum zu ihrem Bestehen des Leibes. So ist also die Erkenntnis für das Herz das Wild, die Sinne sein Jagdnetz, der Leib sein Fahrzeug und zugleich der Träger des Netzes. Das ist der Grund warum das Herz des Leibes bedarf.
Der Leib ist zusammengefügt aus Wasser, Erde Wärme und Feuchtigkeit, und daher schwach und in steter Gefahr, zugrunde zu gehen, sei es von Innen her durch Hunger und Durst, sei es von außen her durch Wasserflut und Feuersbrunst oder Angriffe von Feinden, reißenden Tieren und dergleichen. Zur Stillung des Hungers und Durstes bedarf der Mensch der Speise und des Trankes. Dazu aber bedarf er zweier Heerscharen, nämlich einer äußeren: das sind Hand und Fuß, Mund und Zähne und Magen, und einer inneren, der Begierde nach Speise und Trank. Auch zur Abwehr der äußeren Feinde bedarf er zweier Heerscharen, einer äußeren, das sind Hand und Fuß und einer inneren, der Kraft des Zornmutes. Da es aber unmöglich ist, eine Nahrung zu suchen, die man nicht sieht, und einen Feind abzuwehren, den man nicht erblickt, so bedarf es ferner der verschiedenen Arten der Wahrnehmung, von denen die einen wieder äußere sind, nämlich die fünf Sinne; Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, und die anderen innere, welche gleichfalls fünf an der Zahl sind und wir im Gehirn haben; es sind die Kräfte der Vorstellung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Erinnerung und der Einbildung. Jede dieser Kräfte, hat ihre besondere Aufgabe, und wenn eine von ihnen versagt, so nimmt der ganze Mensch Schaden am ewigen und am zeitlichen Heile. Alle diese Streitkräfte, die äußeren wie die inneren, sind dem Herzen untertan, und das Herz ist ihrer aller Anführer und König. Befiehlt er der Zunge, so redet sie, befiehlt er der Hand, so greift sie, befiehlt er dem Fuß, so schreitet er, befiehlt er dem Auge, so blickt es, befiehlt er der Denkkraft, so denkt sie. Sie alle sind so gemacht, dass sie mit natürlicher Willigkeit seine Befehle ausführen zur Wartung und Hütung des Leibes, damit er seine Wegzehrung einnehmen und sein Wild erjagen, den Handel des Jenseits abschließen und den Samen seiner Glückseligkeit ausstreuen könne. Der Gehorsam dieser Streitkräfte gegen das Herz ist gleich dem Gehorsam der Engel gegen Allah: Sie können keinem seiner Befehle zuwiderhandeln, sondern führen sie mit Willigkeit und Eifer aus.
Die Kenntnis der Streitkräfte des Herzens im einzelnen ist eine langwierige Sache. Darum soll dir ein Gleichnis sagen, was gemeint ist: Der Leib des Menschen gleicht einer Stadt. Hand und Fuß und die übrigen Glieder sind die Handwerker in dieser Stadt, die Begierde ist der Verwalter der Steuereinkünfte, der Zornmut die Polizei, das Herz ist der König der Stadt und die Vernunft sein Wesir. Der König bedarf dieser Diener alle, um sein Reich recht zu regieren. Allein die Begierde, der Verwalter der Steuereinkünfte, ist lügnerisch, unverschämt und Verwirrung stiftend; alles was der Wesir, die Vernunft, sagt, ist ihm zuwider, und sein ganzes Streben geht nur darauf, das gesamte Vermögen des Landes unter dem Vorwand der Steuererhebung an sich zu reißen. Der Zornmut aber, die Polizei, ist boshaft, hart, gewalttätig und heftig und liebt Töten, Zerstören und Blutvergießen. So wie nun der König einer solchen Stadt sich in allen Dingen mit dem Wesir berät und den lügnerischen und begehrlichen Steuerverwalter im Zaume hält und nicht auf ihn hört, wenn er dem Wesir widerspricht, sondern die Polizei über ihn setzt, um ihn an unverschämten Übergriffen zu hindern, und wie er anderseits auch die Polizei klein und demütig hält, so dass sie mit keinem Schritt ihre Befugnisse überschreitet, und auf solche Weise sein Reich in Ordnung hält, so muss auch der König Herz dem Rate des Wesirs Vernunft folgen und Begierde und Zornmut seiner Aufsicht unterstellen, nicht aber die Vernunft zum Diener jener beiden machen; dann wird das Reich des Leibes gedeihen, und der Weg zur Glückseligkeit, zu Allahs Gegenwart wird ihm nicht abgeschnitten werden. Wenn er aber die Vernunft zum Sklaven der Begierde und des Zornmutes werden lässt, so geht das Reich zugrunde, und der König gerät in Elend und Verderben. Aus alledem hast du ersehen, dass Zornmut und Begierde geschaffen sind, um für Speise, Trank und die Erhaltung des Leibes zu sorgen. Sie sind also beide des Leibes Diener, Speise und Trank aber sind die Nahrung des Leibes, der Leib aber ist dazu geschaffen, Träger der Sinne zu sein, er ist also der Diener der Sinne, die Sinne wiederum sind geschaffen, um der Vernunft als Späher und Werkzeug zu dienen, damit sie das wunderbare Wirken Allahs erkennt, sie sind also die Diener der Vernunft; die Vernunft aber ist geschaffen, um für das Herz eine Fackel und Leuchte zu sein, bei deren Licht es die Gottheit schaut, und dieses Schauen der Gottheit, das ist sein Paradies. So ist also die Vernunft die Dienerin des Herzens; und das Herz ist geschaffen zum Schauen der göttlichen Schönheit. Wenn das Herz das tut, so ist es ein rechter Knecht und Diener Allahs; und dieser Dienst ist gemeint in dem Worte Allahs:
Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur darum erschaffen, damit sie Mir dienen (sollen).
51:56
Darum also ist das Herz geschaffen und dieses Reich und Heer ihm übergeben und dieses Reittier des Leibes ihm anvertraut worden, damit es aus der Welt des Staubes hinauf reite zu den höchsten Himmelshöhen. Will es nun dieser Wohltat gerecht werden und die Pflicht der Gottesknechtschaft erfüllen, so muss es sich als König an die Spitze seines Reiches setzen und die Gottheit zu seinem Richtpunkt und Wegziel, das Jenseits zu seiner Heimat und Ruhestätte, den Leib zu seinem Reittier, diese irdische Welt zu seiner Karawanserei, Hand und Fuß zu seinen Dienern, die Vernunft zu seinem Wesir, die Begierde zu seinem Schatzverwalter und den Zornmut zu seiner Polizei machen. Die Sinne mache es zu seinen Spähern, deren jeder mit einer anderen Welt betraut ist, um die Nachrichten aus aller Welt zusammenzutragen; die Vorstellungskraft, die vorn im Gehirn wohnt, sei sein Postmeister, der alle Meldungen der Späher sammelt, das Gedächtnis in den hinteren Teilen des Gehirns der Kanzleivorsteher, der die Meldungen von dem Postmeister entgegen nimmt und aufbewahrt um sie zu ihrer Zeit dem Wesir, der Vernunft, vorzulegen, damit er das Reich nach den Meldungen, die aus dem Lande eingegangen sind, verwalte und die rechten Maßnahmen für die Reise des Königs treffe. Sieht es aber, dass einer aus dem Heere, etwa die Begierde oder der Zornmut oder sonst einer, sich wider den König empört, ihm den Gehorsam verweigert und ihm den Weg verlegen will, so rüste es sich zum heiligen Krieg, um den Empörer zur Ordnung zurückzubringen. Doch darf sein Streben nicht dahin gehen, die Empörer zu töten, denn das Reich kann ohne sie nicht bestehen, sondern es sei allein darauf bedacht, sie zum Gehorsam zurückzuführen, damit sie ihm auf der Reise, die vor ihm liegt, Helfer, nicht Feinde, Freunde, nicht aber Räuber und Wegelagerer seien. Wenn das Herz also handelt, wird es glückselig und der Wohltat gerecht werden, und es wird zu seiner Zeit das Ehrenkleid des Lohnes für seinen Dienst empfangen. Handelt es aber anders und empört sich, so wie die rebellischen Wegelagerer und Feinde, so verleugnet es die Wohltat und wird elend werden und schwere Strafe leiden.