BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM
Imam Ghazali -rahimahullah- hat sich sehr ausführlich mit dieser Thematik beschäftigt, speziell was die Pflichten der Muslime untereinander angeht und hat in seinem Werk Kimiya-i-Saadat (Elixier der Glückseligkeit) die Pflichten des Muslims gegen seine Mitmenschen auf den Punkt gebracht.
Imam Ghazali sagt in diesem Buch:
Wisse: Der Mensch kann entweder allein oder mit Anderen zusammen leben. Kann er den Umgang mit andern Wesen seiner Art nicht entbehren, so muß er notwendig die Zucht und Sitte dieses Umgangs lernen. Denn für jede Art des Verkehrs mit den Menschen gibt es besondere Gesetze der Zucht und Sitte, die durch das Maß der Rechte, die der eine gegenüber dem andern hat, bestimmt werden, dies Maß aber richtet sich nach der Nähe der Beziehung , die den einen mit dem andern verbindet.
Diese Beziehung kann sein entweder die der Verwandtschaft, das ist die speziellste, oder die der Bruderschaft im Islââm, das ist die allgemeinste, oder die Reise- und Schulkameradschaft oder die Freundschaft und Bruderschaft.
In der folgenden 6teiligen Serie geht Imam Ghazali auf die verschiedenen Arten des Umgangs und somit auf die verschiedenen Pflichten diesbezüglich ein.
Hier der 1. Teil:
Die 23 Pflichten gegen den Muslim
Die erste Pflicht
Die erste Pflicht besteht darin, dass du das, was du dir selber nicht wünschest, auch keinem Muslim wünschest.
Der Gesandte Gottes spricht:
»Die Gläubigen sind alle wie ein Leib; wenn eines seiner Glieder leidet, so merken es alle andern Glieder und leiden mit.«
Bukhary (Al-Adab 6011), Muslim (Al-Birr was-Silat-wa’l-Adab 2586)
Und weiter:»Wer dem Höllenfeuer entrinnen will, der sehe zu, daß ihn der Tod auf dem Bekenntnis des Glaubens finde, und daß er keinem Muslim etwas tue, was er sich selbst nicht getan wissen möchte. «
Muslim (Al-Imara 4882)
Mose sprach:»0 Herr, wer ist der gerechteste deiner Diener?« Gott antwortete: »Wer den andern so behandelt wie sich selbst.«
Die zweite Pflicht
Die zweite Pflicht besteht darin, dass du keinen Muslim mit Hand und Mund kränkst.
Der Gesandte Gottes sagte einst:
»Wißt ihr, wer ein rechter Muslim ist?« Sie antworteten: »Gott und sein Gesandter wissen es besser.« Er sagte: »Der, vor dessen Hand und Mund die Muslime sicher sind.« Sie sagten: »Wer ist dann ein Gläubiger?« Er sagte: »Der, vor dem Gut und Blut der Gläubigen sicher sind.«
Bukhary & Muslim & at-Tirmidhi (Buch Al-Iman 2836)
Und weiter sagt er:
»Es ist nicht recht, einem andern einen Blick zuzuwerfen, der einen Muslim verletzt; und es ist nicht recht, etwas zu tun, wodurch ein Muslim in Angst gerät und sich fürchtet.«
Mudschahid(1) sagt:
»Gott läßt über die Verdammten der Hölle die Krätze und Räude kommen, daß sie sich kratzen müssen, bis die Knochen herauskommen.« Dann ruft eine Stimme: >Wie bekommt euch diese Kränkung?< Dann sagen sie: >Hart ist sie.< Dann spricht die Stimme: >Das ist für die Kränkung, die ihr den Muslimen auf Erden zugefügt habt. <«
Und der Gesandte Gottes sagte:
»Ich sah einen Mann sich nach Herzenslust im Paradiese ergehen, dafür, daß er einen Baum aus einem Wege weggeschlagen hatte, damit er keinem Muslim lästig würde.«
Die dritte Pflicht
Du sollst dich über keinen Muslim hochmütig erheben, denn Allah haßt die Hochmütigen.
Der Gesandte Gottes spricht:
»Es wurde mir offenbart: Sei demütig, so daß sich keiner vor dem anderen brüstet.«
Darum pflegte der Gesandte Gottes mit den Witwen und Armen zusammenzugehen,um für ihre Bedürfnisse zu sorgen.Du sollst keinen Menschen mit verächtlichen Blicken ansehen, denn du weißt nicht, ob du nicht einen Heiligen Gottes vor dir hast. Denn Gott hält seine Heiligen verborgen, damit ihnen niemand den Weg verlegt.
Die vierte Pflicht
Du sollst nicht auf das hören, was der Verleumder über einen Muslim sagt, denn man soll nur auf das Wort der Rechtschaffenden hören, der Verleumder aber ist ein Übeltäter.
Es heißt in der Überlieferung:
»Kein Verleumder kommt ins Paradies.«
Und du mußt dir klarmachen, daß der, der vor dir über andere übelredet, auch vor andern übel von dir reden wird. Du mußt dich von ihm fernhalten und ihn als Lügner betrachten.
Die fünfte Pflicht
Du sollst einem Menschen, mit dem du bekannt bist, nicht länger als drei Tage grollen.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Es ist nicht recht, dem Bruder Muslim länger als drei Tage zu grollen.«
Bukhary (Buch Al-Adab 6133)
Der Bessere ist immer der, der zuerst wieder grüßt.
Ikrima(2) sagt:
»Gott sprach zu Josef: >Ich habe deinen Namen und Rang deshalb erhöht, weil du deinen Brüdern verziehen hast.<«
Es heißt in der Überlieferung: »Dadurch, daß du dem Bruder sein Unrecht verzeihst, erhöht sich deine Ehre und vermehrt sich deine Größe.«
Die sechste Pflicht
Du sollst jedermann, da, wo du kannst, Gutes tun und keinen Unterschied machen zwischen Guten und Schlechten.
Es heißt in der Überlieferung:
»Tue Gutes jedem, dem du es tun kannst; ist er der Wohltat unwürdig, so bist du ihrer würdig.«
Und weiter:
»Nächst dem Glauben besteht die Vernunft darin, daß man den Menschen Freundlichkeit erweist und ihnen wohltut, gleichviel, ob sie fromm sind oder nicht.«
Abu Hureira sagte: »Wenn einer die Hand des Propheten ergriff, um mit ihm zu reden, so pflegte er sie ihm nie zu entziehen, bis jener sie von selbst losließ; und wenn einer ihn anredete, so wandte er ihm sein Gesicht zu und wartete, bis er ausgeredet hatte.«
Die siebente Pflicht
Du sollst die Alten ehren und zärtlich zu den Kinder sein.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Wer nicht die Alten ehrt und sich nicht der Kinder erbarmt, der gehört nicht zu uns.«
Musnad Ahmad (Band 1 / 2214)
Und weiter:
»Ehrerbietung gegen das graue Haar ist Ehrerbietung gegen Gott.«
Sunan Abu Dawud (Al-Adab 4845)
Und weiter:
»Wenn immer ein Jüngling einem Greise Ehrerbietung erweist, so bestimmt Gott einen Jüngling, der ihn in seinem Alter ehrt.«
Darin liegt eine Verheißung für ein langes Leben, denn daß einem Menschen Ehrung im Alter zuteil werden soll, bedeutet, daß er ein hohes Lebensalter erreichen wird, um so jenes Lohnes teilhaftig zu werden. Freundlich zu sein gegen Kinder aber war eine Gewohnheit des Gesandten Gottes. Wenn er von einem Feldzuge zurückkam und ihm die Knaben entgegenliefen, so hielt er an und ließ sich die Knaben auf den Sattel heben und setzte einen vor sich und einen hinter sich und befahl auch seinen Gefährten, ein Gleiches zu tun. Dann prahlten die Knaben voreinander, und der eine sprach zum andern: »Mich hat der Gesandte Gottes vor sich sitzen lassen und dich nur hinter sich«, oder: »Dich hat er nur hinter einem seiner Gefährten sitzen lassen.«
Man brachte auch die Kinder zum Propheten, damit er ihnen Namen gäbe und für sie betete, und dann pflegte er sie auf den Schoß zu nehmen. Manchmal aber kam es vor, daß dann ein Kind sein Bedürfnis verrichtete und man ihm zuschrie, daß es aufhören solle.
Dann sagte er:
»Lasset es nur zu Ende machen und stört es nicht«, und wusch sich auch nicht vor den Angehörigen, damit sie nicht verstimmt würden, sondern wusch sich erst ab, wenn sie draußen waren.
Die achte Pflicht
Du sollst allen Muslimen ein fröhliches Gesicht zeigen und jedermann mit heiterer Miene begegnen.
Der Gesandte Gottes sprach:
»Gott liebt die Umgänglichen, die ein fröhliches Gesicht zeigen.«
Und weiter:
»Umgänglichkeit, heitere Miene und freundliche Rede sind ein gutes Werk, das Vergebung der Sünde erwirkt.«
Anas erzählt:»Einst trat ein armes Weib dem Gesandten Gottes in den Weg und sprach: >Ich habe dir etwas zu sagen.< Da sagte er: >Setz dich hier hin, wo du willst, damit ich mich zu dir setze< und setzte sich mit ihr auf der Straße nieder und ließ sie alles erzählen, was sie zu sagen hatte.«
Die neunte Pflicht
Du sollst keinem Muslim das gegebene Wort brechen.
Denn es heißt in der Überlieferung:
»Drei Dinge gibt es, die beweisen, daß ein Mensch ein Heuchler ist, mag er noch soviel beten und fasten; das sind lügen, ein gegebenes Wort brechen und anvertrautes Gut veruntreuen.«
Die zehnte Pflicht
Du sollst jedem die Ehre erweisen, die seinem Stande zukommt.
Dem Manne, der unter den Leuten einen höheren Rang einnimmt, dem sollst du auch die höhere Ehre erweisen. Zuweilen kann man den Mann von höherem Stande daran erkennen, daß er bessere Kleider trägt und auf einem Pferd reitet und in reichem Aufzug erscheint.
Als Aischa einst auf einer Reise sich zur Mahlzeit niedersetzte, kam ein Bettler vorbei; da sagte sie:
»Gebt ihm ein Brot.«
Dann kam ein Mann auf einem Pferd vorbei, da sprach sie:
»Ladet ihn zum Mahle ein.«
Da sagte man zu ihr:
»Den Armen läßt du vorübergehen und diesen Reichen lädst du ein ?«
Da sagte sie:
»Gott hat jedem Menschen einen Stand gegeben; diesem Stand müssen auch wir gerecht werden. Der Arme freut sich über ein Stück Brot, aber es wäre unschicklich, auch den Reichen so zu behandeln, wir müssen vielmehr so an ihm handeln, daß auch er sich freut.«
Es heißt in der Überlieferung:
»Wenn zu euch einer kommt, der einen Ehrenrang bei seinem Volke einnimmt, so ehret ihn.«
Einem solchen Manne gab einst der Gesandte Gottes seinen Mantel, damit er sich daraus setzte.
Und ebenso sollst du den ehren, der alte Rechte auf dich hat.
Es wird überliefert, daß den Gesandten Gottes einst die Amme, die ihn gesäugt hatte, besuchte. Da breitete er ihr seinen Mantel aus und sprach:
»Sei willkommen, meine Mutter!«
und ließ sie auf seinem Mantel sitzen und sprach:
Willst du für jemanden Fürsprache einlegen, so soll sie dir gewährt sein, willst du bitten, so soll dir gegeben werden.«
Sie sagte:
»Mein Stamm!« (Der Stamm der Beni Sa’d, gegen den der Prophet kurz vorher einen Kriegszug unternommen hatte.)
Da sprach der Prophet:
»Mein Recht und das Recht der Beni Haschim gegen sie soll dein sein.«
Da standen die Leute von allen Seiten auf und sprachen:
»Auch unser Recht, o Gesandter Gottes.«Darauf schenkte er ihr seinen Beuteanteil von den Ländereien von Chaibar, den sie dann um tausend Drachmen an Othman verkaufte.
Die elfte Pflicht
Du sollst danach trachten, Frieden zu stiften zwischen denen, die sich verfeindet haben.
Der Gesandte Gottes sprach:
»Soll ich euch sagen, was besser ist als Beten und Fasten und Almosengeben?« Sie sagten: »Ja, sage es.« Er sprach: »Das Friedensliften zwischen den Muslimen.«
Sunan Abu Dawud (Al-Adab 4221)
Anas erzählt:»Einst saß der Gesandte Gottes und lächelte. Da sagte Omar zu ihm: >Bei meinem Vater und meiner Mutter, o Gesandter Gottes, warum lächelst du?<
Da sprach der Gesandte Gottes:
Zwei Leute aus meiner Gemeinde fallen vor dem Herrn der Ehre aufs Knie, und der eine spricht: „Herr, verschaffe mir mein Recht von diesem Manne, er hat unrecht an mir getan!“
Da spricht Gott zu dem Angeklagten: „Gib ihm, was sein Recht ist.“
Spricht der Mann:“Alle meine guten Werke, o Herr, haben mir meine Gegner fortgenommen; nun habe ich keine mehr übrig.“
Dann spricht Gott zu dem Kläger:“Was soll er tun, er hat keine guten Werke mehr!“
Der Mann erwidert:“So laß ihn meine Sünden übernehmen.“Dann werden ihm die Sünden jenes Mannes auferlegt, doch es bleibt noch immer Unrecht auf seiner Seite übrig.
Hier gingen dem Gesandten Gottes die Augen über, und er sprach:„Ja, das ist ein schrecklicher Tag, an dem die Menschen es nötig haben, daß ihnen die Last ihrer bösen Taten abgenommen wird.“
Dann fuhr er fort: Da spricht Gott zu dem Kläger:“Erhebe deine Augen, was siehst du?“
Spricht jener:“Ich sehe Städte aus Silber und Schlösser aus Gold, die mit Edelsteinen und Perlen besetzt sind. Für welchen Propheten, Frommen oder Blutzeugen sind sie bestimmt?“Spricht Gott:“Für den, der den Preis dafür bezahlt.“
Spricht jener:“Herr, wer mag den Preis bezahlen?“
Spricht Gott:“Du selbst.“
Sagt jener:“Womit, o Herr?“
Spricht Gott:“Damit, daß du diesem Bruder vergibst.“
Da sagt der Mann:“Herr, ich vergebe ihm.“
Dann spricht Gott:“So steh auf und nimm die Hand deines Bruders und gehet beide ein ins Paradies.“ Dann sprach der Gesandte Gottes: „Fürchtet Gott und versöhnet die Menschen miteinander, denn Gott selbst versöhnt die Muslime am Jüngsten Tage.“
Die zwölfte Pflicht
Du sollst die Fehler und Blößen der Muslime bedecken.
Es heißt in der Überlieferung:»Wer in dieser Welt über die Muslime eine Decke breitet, über dessen Sünden wird Gott am Jüngsten Tage eine Decke breiten.«
Muslim (Al-Birr was-Silat-wa’l-Adab 6743)
Abu Bakr sagt:
»Sooft ich einen Trinker oder einen Dieb ertappe, wünsche ich, daß Gott ihre Schande bedecken möchte.«
Der Gesandte Gottes sprach: »O ihr, die ihr mit der Zunge den Glauben bekennt, aber im Herzen keinen Glauben habt, führt nicht üble Nachrede gegen die Menschen und spürt nicht ihrer Blöße nach, denn wer die Blöße eines Muslims aufdeckt, dessen Blöße deckt Gott auf und stellt ihn bloß, hätte er sein Tun auch im Innersten seines Hauses versteckt.«
Sunan Abu Dawud (Al-Adab 4882)
lbn Masud berichtet: »Ich erinnere mich, wie der erste Dieb vor den Gesandten Gottes gebracht wurde, damit ihm die Hand abgehauen würde, da erbleichte der Gesandte Gottes. Man sagte zu ihm: >Hast du etwas dawider?<
Er antwortete: >Wie sollte ich nichts dawider haben! Soll ich der Helfer des Satans sein in der Feindschaft gegen meine Brüder? Wenn ihr wollt, daß Gott euch verzeiht und eure Sünde vergibt und zudeckt, so deckt auch ihr die Sünde der Leute zu. Denn wenn sie einmal vor den Herrscher gebracht ist, dann muß die Strafe vollzogen werden.<«
Omar ging eines Nachts in der Stadt umher, um nach dem Rechten zu sehen. Da hörte er aus einem Hause Gesang. Er stieg über das Dach ins Haus und fand einen Mann, der mit einem Frauenzimmer Wein trank. Da sprach er zu ihm:
»O du Feind Gottes, hast du gewähnt, daß Gott dir eine solche Sünde verborgen halten würde?«
Da sprach jener:
»Gemach, o Fürst der Gläubigen, wenn ich eine Sünde gegen Gott getan habe, so hast du drei getan. Es heißt im Worte Gottes: >Spionieret nicht!<, du aber hast spioniert; und es heißt weiter: >Tretet in die Häuser ein durch ihre Türen!< du aber bist über das Dach hereingekommen; und es heißt: >Betretet nicht fremde Häuser, bevor ihr um Erlaubnis gebeten und ihre Bewohner begrüßt habt!<, du aber bist hereingekommen ohne Erlaubnis und hast nicht gegrüßt.«
Da sprach Omar:
»Wenn ich dir verzeihe, wirst du dich dann bessern?«
Da sprach jener:
»ja, ich will es nie wieder tun.«Da verzieh er ihm, und jener kehrte sich zur Besserung.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Wer heimlich horcht, was die Leute hinter seinem Rücken sagen, dem wird am Jüngsten Tage geschmolzenes Blei in die Ohren gegossen werden.«
Die dreizehnte Pflicht
Du sollst alles vermeiden, was zu einem Verdachte anlaß geben kann, damit das Herz der Muslime vor dem Schlechtdenken von anderen und ihre Zunge vor Verleumdung bewahrt bleibe.
Denn jeder, der die Ursache für das Sündigen eines anderen wird, hat selbst teil an der Sünde.
Der Gesandte Gottes spricht:
»Was haltet ihr von einem Menschen, der seinen Vater und seine Mutter beschimpft?« Sie sagten: »Wer wird das tun, o Gesandter Gottes!« Er sprach: »Wer eines anderen Vater und Mutter beschimpft, so daß dafür auch seine Eltern beschimpft werden, der hat sie selbst beschimpft.«
Omar spricht:
»Wer sich selbst dem Verdacht aussetzt, der darf den nicht tadeln, der Verdacht gegen ihn hegt.«
Als der Prophet einst am letzten Tage des Fastenmonats in der Moschee mit seiner Frau Safijja sprach, kamen zwei Männer vorbei. Da rief er sie zu sich und sagte:
»Dies ist meine Frau Safijja.«
Da sagten die Männer:
»O Gesandter Gottes, wenn man gegen jemand Argwohn hegt, so doch gewiß nicht gegen dich.«
Da sprach der Prophet:
»Der Satan läuft dem Menschen durch die Adern wie das Blut.«
Omar sah einst einen Mann auf offener Straße eine Frau ansprechen und schlug ihn mit der Gerte.
Da sagte der Mann:
»O Omar, es ist meine Frau!«
Sprach Omar:
»Kannst du nicht mit ihr reden, wo es niemand sieht?«
Die vierzehnte Pflicht
Du sollst niemanden deine Fürsprache verweigern, wenn du bei jemand Geltung und Einfluß hast.
Der Gesandte Gottes sprach zu seinen Gefährten:
»Leget Fürbitte bei mir ein. Gar oft habe ich im Herzen schon beschlossen, etwas zu gewähren, aber ich schiebe es auf, damit einer von euch bei mir Fürsprache einlege und dafür Lohn empfange.«
Und wiederum spricht er:
»Es gibt kein schöneres Almosen als das Almosen der Zunge.«
Man fragte ihn:
»Wieso?«
Er sprach:
»Es ist die Fürsprache, durch die Blutvergießen verhindert, einem Menschen genützt oder ein Mensch vor Schaden bewahrt wird.«
Die fünfzehnte Pflicht
Wenn du hörst, dass ein Mensch einen Muslim in dessen Abwesenheit verleumdet oder nach seinem Gute trachtet, so sollst du für den Abwesenden eintreten und für ihn Antwort geben und jeden Übergriff von ihm abwehren.
Denn der Gesandte Gottes spricht:
»Wenn ein Muslim einem Muslim beisteht, wenn übel von ihm geredet und seine Ehre in den Staub gerissen wird, so wird ihm Gott beistehen da, wo er es nötiger hat; und wenn ein Mensch dein andern den Beistand versagt und nicht für ihn kämpft, so wird ihn Gott im Stich lassen da, wo ihm der Beistand lieber wäre.«
Die sechszehnte Pflicht
Wenn du heimgesucht bist durch den Umgang mit einem schlechten Menschen, so sollst du dich freundlich und höflich zu ihm stellen, um seiner Bosheit zu entgegnen, und nicht ins Gesicht grob zu ihm sein.
Ibn Abbas sagt zur Erklärung des Gotteswortes »Die das Böse durch das Gute abweisen«:
»Das heißt: Begegnet der Bosheit mit Gruß und Höflichkeit.«
Aischa erzählt:
»Ein Mann begehrte bei dem Gesandten Gottes Einlaß. Da sprach jener: „Laßt ihn herein, es ist der schlechteste Mensch seines Stammes.“
Als er aber eingetreten war, war der Gesandte Gottes so höflich und aufmerksam gegen ihn, daß ich dachte, jener müsse doch sehr hohe Geltung bei ihm haben. Als der Mann hinausgegangen war, sagte ich: „O Gesandter Gottes, du sagtest doch, er sei ein schlechter Mensch, trotzdem aber hast du ihn so aufmerksam behandelt?“
Da sprach er: „Als die schlechtesten von allen *Menschen werden vor Gott am Jüngsten Tage die gelten, die man aus Furcht vor ihrer Bosheit höflich behandelt.“ «
Es heißt in der Überlieferung:
»Alles, womit du deine Ehre gegen böse Zungen schützest, das ist Almosen.«
Abu d-Darda sagt:
»Es gibt viele Leute, denen wir ins Gesicht lächeln, während unser Herz sie verflucht.«
Die siebzehnte Pflicht
Du sollst mit den Armen Umgang pflegen und dich vor dem Verkehr mit den Reichen hüten.
Der Gesandte Gottes sagte:
»Sitzet nicht mit den Toten zusammen.«
Man sagte: »Wer sind die Toten, o Gesandter Gottes?«
Er sprach: »Die Reichen.«
Sulayman -alaihi salam- pflegte, wo er in seinem Lande einen Armen sah, sich zu ihm zu setzen und zu sagen:
»Ein Armer hat sich zu einem Annen gesetzt.«
Isa -alaihi salam- ließ sich mit keinem Namen lieber nennen als mit dem Namen »Armer«.
Der Gesandte Gottes sagte:
»Gott, laß mich arm leben und arm sterben und mit den Armen auferstehen.«
Moses sprach:
»Wo soll ich dich suchen, mein Gott?«
Da sprach Allah -subhanahu wa ta´ala- :
»Bei denen, die gebrochenen Herzens sind.«
Die achtzehnte Pflicht
Du sollst dich bemühen, das Herz des Muslims fröhlich zu machen, und ihm bei seinen Angelegenheiten behilflich sein.
Der Gesandte Gottes spricht:
»Wenn einer einem Muslim in seinen Angelegenheiten hilft, so ist das so gut, als ob er sein ganzes Leben Gott diente.«
Und weiter:
»Wer das Auge eines Muslims zum Leuchten bringt, dessen Auge wird Gott am Jüngsten Tage zum Leuchten bringen.«
Und weiter:
»Wenn einer für seinen Bruder eine Stunde Wegas geht, des Nachts oder am Tage, gleichviel, ob er die Sache erledigt oder nicht, so ist das besser als zwei Monate geistlicher Übungen in der Moschee.«
Und weiter:
»Wer einen Bekümmerten fröhlich macht oder einen Unterdrückten befreit, dem vergibt Gott dreiundsiebenzigmal.«
Und weiter:
»Helfet eurem Bruder, ob er Unrecht tut oder Unrecht leidet.« Sie sprachen: »Wie sollen wir ihm helfen, wenn er Unrecht tut?« Er sprach: »Ihn vom Unrecht zurückhalten, heißt ihm helfen.«
Und ferner:
»Kein Werk des Gehorsams ist Gott so lieb, wie daß du das Herz eines Muslims fröhlich machst.«
Fudail brach einst in Tränen aus, da fragte man ihn:
»Warum weinst du?«
Er sagte:
»Ich weine aus Kummer Über die armen Muslime, die mir unrecht getan haben. Denn morgen, am Tag der Auferstehung, wird man sie fragen: >Warum habt ihr das getan?< Dann werden sie beschämt dastehen und keine Entschuldigung wissen.«
Ma’ruf el-Karachi(3) sagt:
»Wer täglich dreimal spricht: >Gott, hilf der Gemeinde Muhammeds zurecht, Gott, erbarme dich der Gemeinde Muhammeds, Gott, befreie die Gemeinde Muhammeds von allem Kummer<, der wird zu der Zahl der großen Heiligen gerechnet.«
Die neuntzehnte Pflicht
Du sollst jeden, dem du begegnest, zuerst grüßen und ihm die Hand geben, ehe du ihn anredest.
Der Gesandte Gottes spricht:
»Wer zu reden beginnt, ohne zuvor zu grüßen, dem antwortet nicht, ehe er gegrüßt hat.«
Jemand trat einst beim Propheten ein, ohne zu grüßen. Da sagte der Prophet:
»Geh noch einmal hinaus und grüße, wenn du hereinkommst.«
Anas erzählt:
»Als ich dem Propheten acht Jahre lang gedient hatte, sagte er zu mir: >Halte dich stets in vollkommener Reinheit, damit du lange lebst, grüße den, der dir begegnet, auf daß deine guten Werke sich mehren, und wenn du nach Hause kommst, so begrüße deine Familie, auf daß sich der Segen in deinem Hause mehret< «
Es kam ein Mann zum Gesandten Gottes und sprach:
»Heil über Euch!«
Da sagte er:
»Ihm werden zehn gute Taten angeschrieben.«
Da kam ein anderer und sprach:
»Heil über Euch und Gottes Erbarmen!«
Da sagte er:
»Ihm werden zwanzig gute Taten angeschrieben.«
Und ferner sprach der Gesandte Gottes:
»Grüßet, wenn ihr kommt, und wenn ihr geht, denn am Ende ist es nicht weniger gut zu grüßen als am Anfang.«
Und weiter:
»Wenn sich zwei Gläubige die Hand reichen, so werden siebzig Erbarmungen zwischen ihnen verteilt, neunundsechzig aber fallen dem zu, der das freundlichere und fröhlichere Gesicht zeigt.«
Und weiter:
»Wenn sich zwei Muslime begegnen und sich grüßen, so werden hundert Erbarmungen zwischen ihnen verteilt, neunzig für den, der mit dem Gruß beginnt, und zehn für den, der ihn erwidert.«
Es ist aber gute Sitte, die Hand der großen religiösen Meister zu küssen. Abu Ubeida ibn al-Dscharrach(4) küßte dem Herrscher der Gläubigen Omar die Hand. Zum Gruß den Rücken zu krümmen aber ist verboten.
Anas erzählt:
»Ich fragte den Gesandten Gottes: „Sollen wir voreinander den Rücken krümmen?“
Er sprach: „Nein.“
„Sollen wir uns küssen?“
Er sagte: „Nein.“
„Sollen wir uns die Hand geben?“
Er sagte: „ja.“ «
Bei der Rückkehr von einer Reise aber ist es gute Sitte, sich ins Gesicht zu küssen und zu umarmen.
Das Aufstehen aber, um dem andern Ehre zu erweisen, hat der Gesandte Gottes nicht gern gesehen.
Anas erzählt:
»Ich hatte niemanden lieber als den Gesandten Gottes, aber ich stand nicht vor ihm auf, weil ich wußte, daß er es nicht gern sah.«
Wenn es aber jemand tut, um einen anderen besonders zu ehren, da, wo es Sitte geworden ist, so ist nichts dagegen zu sagen.
Vor einem Menschen zu stehen aber ist verboten.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Wer es liebt, daß die Menschen vor ihm stehen, während er selber sitzt, der möge seinen Sitzplatz in der Hölle einnehmen.«
Die zwanzigste Pflicht
Wenn einer niesen muß, so soll er sagen:„gelobt sei Allah!“ (alhamdulillah)…und wenn einer gähnt, so lege er die Hand vor den Mund.
Ibn Mas’ud erzählt:
»Der Gesandte Gottes lehrte uns: Wenn einer niest, so soll er sagen: >Gelobt sei Allah, der Herr der Welten! < Dann soll der andere, der es hört, sagen: >Allah erbarme dich deiner!< und der Niesende soll erwidern: >Allah verzeih mir und Euch!< Wenn aber der Niesende das >Gelobt sei Allah!< nicht sagt, so hat er keinen Anspruch auf das >Allah erbarme sich deiner!< «
Wenn der Gesandte Gottes niesen mußte, unterdrückte er das Geräusch und bedeckte sein Gesicht.
Und er sagte:
»Das Niesen kommt von Allah, das Gähnen vom Satan. Und wenn einer von euch gähnt, so lege er die Hand vor den Mund; und wenn er bei m Gähnen sagt >Ha, ha!<, so lacht der Satan aus seinem Bauche.«
Die einundzwanzigste Pflicht
Du sollst den kranken Muslim besuchen, auch wenn er nur dein Bekannter, nicht dein Freund ist.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Wer einen Kranken besucht, der erhält einen Platz im Himmelreich, und wenn er von dem Besuch zurückkehrt, so werden siebzigtausend Engel über ihn bestellt, die Segnungen über ihn sprechen bis zur Nacht.«
Und es ist gute Sitte, die Hand auf die Hand oder die Stirn des Kranken zu legen und zu fragen:
»Wie geht es dir?«
und zu sprechen:
»Im Namen Gottes! Gott, der Einige und Ewige, der nicht zeugte und nicht gezeugt ward, der seinesgleichen nicht hat, gewähre dir Zuflucht vor allem Bösen, das dir zustößt.«
Uthman -radi´Allahu anh- erzählt, daß dies der Prophet mehrmals zu ihm gesagt habe, als er einst krank war und der Prophet. ihn besuchte. Der Kranke aber soll sagen:
»Ich suche meine Zuflucht bei der Herrlichkeit und Macht Gottes vor dem Bösen, das mir zustößt.«
Und wenn er nach seinem Befinden gefragt wird, so soll er nicht viel jammern und klagen.
Es heißt in der Überlieferung:
»Wenn der Mensch krank wird, so bestellt Gott zwei Engel über ihn, um zu sehen, ob er, wenn die Besucher kommen, Gott dankt, oder ob er klagt. Und wenn er dankt und sagt: >Es ist gut so, Gott sei gepriesen!<, so spricht Gott: >Es ist meine Pflicht gegen meinen Knecht, daß, wenn ich ihn hinwegnehme, ich ihn in meine Barmherzigkeit aufnehme und ins Paradies kommen lasse, und wenn ich ihm die Gesundheit wieder schenke, seine Sünden um dieser Krankheit willen vergebe und ihm ein besseres Fleisch und Blut gebe, als er zuvor hatte.<«
Dem Kranken aber geziemt es, nicht zu klagen und zu verzweifeln, sondern zu hoffen, daß die Krankheit eine Sühne für seine Sünden sein wird. Und wenn er Arzneimittel nimmt, so soll er auf den vertrauen, der das Heilmittel geschaffen hat, nicht auf das Heilmittel. Zu der guten Sitte des Krankenbesuches aber gehört es, sich nicht allezu lange hinzusetzen und nicht zu viel zu fragen, sondern Gebete zu sprechen für die Gesundheit des Kranken und sein Mitempfinden für ihn zu zeigen. Der Besucher soll sich auch nicht nach allen Zimmern und Türen des Hauses umsehen; ehe er eintritt, soll er um Einlaß bitten und sich nicht gerade der Tür gegenüber hinstellen, sondern sich zur Seite halten, damit beim Öffnen der Tür sein Blick nicht auf etwas fällt, was zu sehen sich nicht schickt. Er soll behutsam an die Tür klopfen und nicht den Diener rufen und sagen: »Ich«, wenn gefragt wird: »Wer ist da?«, sondern statt dessen soll er sagen:
»Gepriesen und gelobt sei Gott!«
Dies soll er überhaupt stets tun, wenn er an eine Tür anklopft.
Die zweiundzwanzigste Pflicht
Du sollst (bei einem Begräbnis) hinter der Leiche des Muslims hergehen.
Der Gesandte Gottes sagt:
»Wer hinter einer Leiche hergeht, dem wird eine Unze Lohn zuteil, und wer dabeisteht, bis sie ins Grab gesenkt wird, dem werden zwei Unzen Lohn zuteil, eine jede so groß wie der Berg Uhud.«
Gute Sitte beim Grabgeleit aber ist, zu schweigen und nicht zu lachen, sondern eine Mahnung für sich selbst daraus zu ziehen und über das eigene Sterben nachzudenken.
A’masch(5) sagt:
»Ein Gottesmann sagte, als einst einige Leute einen Toten betrauerten: >Trauert lieber über euch, denn er ist schon von drei Schrecknissen erlöst: Das Angesicht des Todesengels hat er gesehen, die Bitterkeit des Sterbens hat er gekostet, und die Angst vor dein Ende hat er überwunden.<«
Der Gesandte Gottes sagt:
»Drei Dinge geben dem Toten das Grabgeleit: seine Anverwandten, seine Habe und seine Taten. Anverwandte und Habe kehren wieder um, aber seine Taten bleiben bei ihm.«
Die dreiundzwanzigste Pflicht
Du sollst endlich die Gräber der Toten besuchen und für sie beten und für dich selbst eine Mahnung daraus nehmen und daran denken, dass die Vorangegangen sind und du ihnen bald nachfolgen und da sein wirst , wo sie jetzt sind.
Sufjan eth-Thauri(6) sagt:
»Wer viel an sein Grab denkt, der wird in dem Grab eine Aue des Paradieses finden, wer es aber vergißt, der wird in ihm eine Gruft der Hölle finden.«
Rabi ibn Chuthaim, der in Tus begraben liegt und einer der großen Nachfolger war, hatte sich in seinem Hause ein Grab gegraben, und sooft er fand, daß sein Herz in seinem Eifer erlahmte, legte er sich hinein und blieb eine Zeitlang darin liegen. Dann sprach er:
»Herr, sende mich zur Welt zurück, damit ich nachhole, was ich versäumt habe.«
Dann stand er auf und sprach:
»So, Rabi, diesmal bist du noch in die Welt zurückgesandt worden; nun gib dir Mühe, ehe es geschieht, daß du nicht wieder zurückgeschickt wirst!«
Omar erzählt:
»Der Gesandte Gottes ging einst auf den Friedhof hinaus und setzte sich zu Häupter eines Grabes und weinte sehr. Ich war bei ihm und sagte: >Warum weinst du, o Gesandter Gottes?<
Er sprach: >Dies ist das Grab meiner Mutter, ich habe Gott um Erlaubnis gebeten, es zu besuchen und für sie um Verzeihung zu bitten. Den Besuch hat er mir erlaubt, aber die Fürbitte hat er mir nicht erlaubt. Nun ist die Kindesliebe in mir erwacht, und darum weine ich.< «
Fußnoten:
(1) bekannter Gelehrter unter den tabi´in (gest. Um 100 n.H.)
(2) berühmter Überlieferer und Rechtsgelehrter (gest. 106 n.H.)
(3) ein berühmter Bagdader Sufi (gest. 200 n.H.)
(4) Gefährte des Propheten (gest. 18 n.H.)
(5) Überlieferer (gest. 148 n.H.)
(6) berühmte Autorität des zweiten Jahrhunderts (gest. 161 n.H.)