Wenn die Gebetszeit einbricht und das Essen bereits aufgetischt wurde

BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM

Anas (r.) berichtet, dass der Gesandte Allahs (s.a.s.) gesagt hat: „Wenn gerade das Abendessen aufgetischt wurde, dann beginnt mit dem Essen, bevor ihr das rituelle Abendgebet verrichtet.“
Dies berichteten Buchari und Muslim.

Lehrinhalte in diesem Zusammenhang:

  1. In einer anderen Überlieferung wird allgemein vom Gebet und nicht speziell vom Abendgebet gesprochen.

  2. In einer anderen Überlieferung sagt der Prophet (s.a.s.): „Wenn gerade das Abendessen aufgetischt wurde, und einer von euch gefastet hat…“. Jedoch wird der obige Hadith von Anas nicht eingeschränkt wegen des usul-Grundsatzes, der besagt, dass die Erwähnung der rechtlichen Bestimmung (arab. hukm) eines Spezialfalles1, der die rechtliche Bestimmung des allgemeinen Falles2 fällt, nicht zu einer Einschränkung der rechtlichen Bestimmung im allgemeinen Fall führt.

  3. Der Hadith weist darauf hin, dass man zuerst zu Abend essen soll, wenn das Essen bereits aufgetischt ist. Die Allgemeinheit der Gelehrten versteht unter „sollen“, dass es erwünscht (arab. mandub) ist. Die Rechtschule der dhahirijja3 versteht den Hadith nach dem äusseren Wortlaut und sagt, dass es Pflicht ist, zuerst das Abendessen zu sich zu nehmen, wenn es bereits aufgetischt ist, und dass, wenn man trotzdem das Gebet vorher verrichtet, dies ungültig ist.

  4. Der Grund dafür, dass man zuerst das Abendessen zu sich nehmen soll, liegt wohl darin, dass man sich sonst nicht so gut auf das Gebet konzentriert. Dies belegt eine Überlieferung von Ibn Abi Schaiba, in der er von Abu Huraira (r.) und Ibn Abbas (r.) berichtet, dass diese gerade aßen und auch noch gegrilltes Fleisch im Ofen war, als der Gebetsrufer (arab. muadhin) die iqama4 machen wollte. Da sagte Ibn Abbas zu ihm (d.h. zum Gebetsrufer): „Mach bitte langsam, wir stehen nicht zum Gebet auf, solange wir noch (an das gegrillte Fleisch) denken.“ In einem anderen Wortlaut dieser Überlieferung heißt es: „…damit wir nicht im Gebet daran denken.“ Ibn Abi Schaiba berichtet auch, dass Hasan ibn Ali (r.), der Enkel des Propheten (s.a.s.), berichtete: „Wenn man vor dem Gebet zu Abend isst, hat man kein schlechtes Gewissen (wörtl. das Abendessen vor dem Gebet entfernt die sich selbst anklagende Seele)“.

  5. Dass man erst zu Abend essen soll und dann beten, wenn bereits das Abendessen aufgetischt ist, gilt für den Fall, dass noch genug Zeit innerhalb der erlaubten Gebetszeit vorhanden ist. Für den Fall, dass man fürchtet, die Zeitspanne, in der das Gebet verrichtet werden muss zu überschreiten, gibt es unter den Gelehrten unterschiedliche Meinungen:
    a) Diejenigen, die der Meinung sind, dass das Gefühl der Gottesfurcht (arab. khuschu‘) im rituellen Gebet Pflicht (arab. wadschib) ist – wie z.B. Imam Abu Hamid al-Ghazali – sagen, dass man zuerst essen soll, und wenn dadurch auch die Gebetszeit überschritten wird, um das Gefühl der Gottesfurcht (arab. khuschu‘) im Gebet zu haben.
    b) Die Allgemeinheit (arab. dschumhur) der Gelehrten sagt, dass man in diesem Fall zuerst beten soll, um die Gebetszeit zu wahren.

  6. Diejenigen Gelehrten, die die Anwesenheit beim Gemeinschaftsgebet normalerweise als Pflicht ansehen, betrachten aufgrund dieses Hadithes die Einnahme des gleichzeitig zum Gemeinschaftsgebet aufgetischten Abendessen als rechtmässigen Grund, nicht am Gemeinschaftsgebet teilzunehmen.

  7. Die Aussage des Gesandten Allahs (s.a.s.) „dann beginnt“ lässt einen spüren, dass wenn man gerade isst während die Gebetszeit hereinbricht, man dann nicht das Essen in die Länge ziehen soll. Es wird in einer gesicherten Überlieferung berichtet, dass Ibn Umar (r.), wenn ihm sein Abendessen aufgetischt wurde und er den Imam im Gebet rezitieren hörte, er nicht aufstand, bevor er mit dem Essen ganz fertig war (und nicht unnötig zwischendurch noch etwas anderes machte).

  8. Durch Analogieschluss (arab. qijas) wird von Gelehrten gefolgert, dass auch andere Dinge, die einem die Konzentration im Gebet nehmen würden, ebenso wie das Essen besser vor dem Gebet in Angriff genommen werden sollen.

(Basierend auf Subul as-Salam von Mohammad ibn Ismail As-San’ani / übersetzt von Samir Mourad – DIdI e.V.)


1 Hier ist der Spezialfall, dass das Essen aufgetischt ist und gleichzeitig die Zeit für das Abendgebet gekommen ist und dass man zusätzlich gerade gefastet hat.

2 Hier ist der allgemeine Fall, dass das Essen aufgetischt ist und gleichzeitig die Zeit für das Abendgebet gekommen ist.

3 Eine Rechtsschule, die sich vor allem nach dem äusseren Wortlaut der Quellen richtet. Zu der dhahirijja gehörte z.B. der klassische andalusische Gelehrte Ibn Hazm.

4 Die iqama (wörtl. Aufforderung zum Sicherheben) ist der zweite Gebetsruf, auf den unmittelbar das Gemeinschaftgebet folgt.