BISMILLAH-IR-RAHMAN-IR-RAHIM
Mit Sheikh Yusuf al-Qaradawi bemühen wir mal einen zeitgenössischen Gelehrten. In seinem Buch Al-halal wal-haram fil-islam (Erlaubtes und Verbotenes im Islam) befasst er sich mit dem Thema Beziehungen zu Nichtmuslimen und nimmt damit unweigerlich Bezug auf das Prinzip von Al-wara wal-bara.
Beziehungen mit Nichtmuslimen
Wenn wir die islamischen Lehren über die Beziehungen mit Nichtmuslimen im Zusammenhang mit halal und haram zusammenfassen wollen, stellen wir fest, daß die beiden folgenden Koranverse ausreichen, weil sie umfassende Richtlinien hierüber enthalten. Allah der Erhabene spricht:
Allah verbietet euch nicht, gegen die, die nicht in Sachen des Glaubens gegen euch gekämpft oder euch aus euren Häusern vertrieben haben, gütig und gerecht zu sein. Siehe, Allah liebt die gerecht Handelnden. Allah verbietet euch nur mit denen, die euch in Sachen des Glaubens bekämpft und euch aus euren Wohnungen vertrieben und bei eurer Vertreibung geholfen haben, Freundschaft zu schließen. Und wer mit ihnen Freundschaft schließt, das sind die Ungerechten. (60:8-9)
Der erste dieser beiden Verse fordert nicht nur zu Gerechtigkeit und Fairness gegenüber Nichtmuslimen auf, die Muslime weder aus religiösen Gründen bekämpfen, noch sie aus ihren Häusern vertreiben – d. h. die nicht mit den Muslimen Krieg führen und ihnen nicht feindlich gesinnt sind – sondern er fordert die Muslime auch dazu auf, ihnen gegenüber freundlich zu sein. Das Wort „birr“ oder „Güte“ das in diesem Vers gebraucht wird, ist ein sehr umfassender Begriff, der jene Freundlichkeit und Großmütigkeit beschreibt, die über die Gerechtigkeit hinausgeht. Es ist der gleiche Begriff, mit dem die Pflicht des Muslims gegenüber seinen Eltern bezeichnet wird. Dieser Vers, haben wir gesagt, fordert zur Gerechtigkeit auf, wie Allah spricht:
Allah liebt die gerecht Handelnden (60:8), und der Gläubige bemüht sich immer, das zu tun, was Allah liebt. Zwischen den Worten Allahs Allah verbietet euch nicht (60:8) , die recht gemäßigt sind und unserer Auslegung als „auffordern zur Gerechtigkeit“ besteht aber kein Widerspruch. Durch diese Bezeichnung will Allah den Leuten die falsche Vorstellung nehmen, daß alle Nichtmuslime gleich sind und daß sie keine gute Behandlung und Freundlichkeit seitens der Muslime verdienen. So macht Allah die Tatsache klar, daß er Freundlichkeit Nichmuslimen gegenüber nicht allgemein verboten hat, sondern nur denen gegenüber, die mit den Muslimen Krieg führen und ihnen feindlich gesinnt sind. Das entspricht dem, was Allah über Safa und Marwa gesagt hat, als manche Leute wegen bestimmter Bräuche aus der dschahilijja nicht zwischen diesen beiden Hügeln hin- und herlaufen wollten:
…wer hadsch oder umra zum Hause (Allahs) macht, der begeht keine Sünde, wenn er zwischen beiden hin- und herläuft. (2:153)
Weil das Hin- und Herlaufen zwischen den beiden Hügeln – der sogenannte sai – in Wirklichkeit ein Pflichtbestandteil von hadsch und umra ist, wird hier gesagt, daß es sich dabei um keine Sünde handelt, um die falsche Vorstellung der dschahilijja auszuräumen.
• Besonderheit der Leute der Schrift
Während der Islam den Muslimen nicht verbietet, freundlich und großzügig zu Angehörigen anderer Religionen zu sein, selbst wenn es sich um Götzendiener und Polytheisten handelt, wie z.B. die Polytheisten Arabiens, über die obige Verse offenbart worden waren, betrachtet er die Leute der Schrift, d.h. Juden und Christen, mit besonderer Rücksicht, ob sie innerhalb oder außerhalb der muslimischen Gesellschaft leben. Der Koran spricht sie niemals ohne die Anrede an „Ihr Leute der Schrift“ oder Ihr, denen die Schrift gegeben wurde, womit angezeigt wird, daß sie ursprünglich Angehörige einer offenbarten Religion waren. Aus diesem Grund besteht zwischen ihnen und den Muslimen eine Beziehung der Barmherzigkeit und geistigen Verwandschaft, da ihnen die Prinzipien der einen von Allah durch Seine Propheten (Friede auf ihnen allen) gesandten wahren Religion gemeinsam sind:
Er hat auch den Glauben verordnet, den Er Noah vorschrieb, und was Wir dir offenbarten und Abraham und Moses und Jesus vorschrieben: „Haltet den Glauben und spaltet euch nicht… (42:11)
Die Muslime müssen an alle von Allah offenbarten Schriften und alle von Ihm gesandten Propheten glauben, sonst sind sie keine Gläubigen:
Sag: Wir glauben an Allah und was Er zu uns herabgesandt hat, und was er zu Abraham herabgesandt hat und zu Ismail und Isaak und Jakob und den Stämmen, und was Moses und Jesus gegeben wurde, und was den Propheten gegeben wurde von ihrem Herrn. Keinen Unterschied machen wir zwischen einem von ihnen und wahrlich, wir sind Gottergebene Muslime. (2:130)
Wenn also die Leute der Schrift den Koran lesen, werden sie in ihm Lob ihrer Schriften, ihrer Gesandten und Propheten finden. Wenn Muslime mit den Leuten der Schrift diskutieren, sollten sie alles vermeiden, was Verbitterung und Feindschaft hervorruft:
Und streitet nicht mit dem Volk der Schrift, es sei denn in bester Weise, außer mit jenen von ihnen, die ungerecht handelten, und sagt: „Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wurde und zu euch herabgesandt wurde, und unser Gott und euer Gott ist ein einiger Gott und Ihm sind wir ergeben. (29:45)
Wir haben bereits gesehen, daß der Islam erlaubt, mit den Leuten der Schrift zu essen, das Fleisch zu verwenden, wenn sie geschlachtet haben und ihre Frauen zu heiraten, wobei die Ehe ja eine Beziehung der gegenseitigen Liebe und Barmherzigkeit darstellt. Allah der Erhabene spricht:
…die Speise derer, denen die Schrift gegeben wurde, ist euch erlaubt, wie eure Speise ihnen erlaubt ist. Und züchtige Frauen, die gläubig sind und züchtige Frauen von denen, welchen die Schrift vor euch gegeben wurde (sind euch erlaubt)… (5:7)
Das gilt für die Leute der Schrift im Allgemeinen, doch wurde insbesondere den Christen vom Koran noch ein besonderer Status gegeben und sie gelten als den Herzen der Gläubigen viel näher stehend. Allah spricht:
Und du wirst zweifellos finden, daß die, welche sagen: ,Wir sind Christen‘ den Gläubigen am freundlichsten gegenüberstehen. Dies weil unter ihnen Gottesgelehrte und Mönche sind, und weil sie nicht überheblich sind. (5:83)
• Bedeutung der Freundschaft mit Nichtmuslimen
Eine Frage, die manche Leute beschäftigt und die manchmal öffentlich diskutiert wird, ist die folgende: Wie kann man Güte, Zuneigung und gute Behandlung den Nichtmuslimen gegenüber praktizieren, wo doch Allah der Erhabene selbst den Muslimen verboten hat, Ungläubige als Freunde, Verbündete und Förderer zu nehmen, wie z.B. in dem folgenden Vers:
O ihr, die ihr glaubt, nehmt euch nicht die Juden und Christen zu Freunden. Sie sind untereinander Freunde, und wer von euch sie zu Freunden nimmt, siehe, der ist von ihnen. Siehe, Allah leitet nicht die Ungerechten. Und so siehst du die, deren Herz krank ist, zu ihnen um die Wette laufen… (5:56-57)
Die Antwort darauf ist: diese Verse sind nicht bedingungslos auf jeden Juden, Christen oder Nichtmuslim anwendbar. Sie so zu interpretieren widerspricht den Anweisungen des Korans, die Zuneigung und Güte gegenüber den guten und friedliebenden Angehörigen jeder Religion vorschreiben und auch den Versen, die Heirat mit den Leuten der Schrift erlauben, all das eingeschlossen, was Allah über die Ehe sagt
und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt (30:21)
sowie die Verse über die Christen:
…und du wirst finden, daß den Gläubigen diejenigen, die sagen: ,Wir sind Christen‘ am freundlichsten gegenüberstehen. (5:85)
Die obigen Verse wurde im Zusammenhang mit solchen Leuten offenbart, die dem Islam feindlich gesonnen waren und Krieg gegen die Muslime führten. Demnach ist es dem Muslim nicht erlaubt, sie zu unterstützen oder ihnen beizustehen – d.h. ihr Verbündeter zu sein – und auch nicht, ihnen Vertrauliches auf Kosten der eigenen Religion und Gemeinde mitzuteilen. Diese Sache wird in einem anderen Vers erläutert, in dem Allah der Erhabene spricht:
Sie werden nicht zögern, euch zu vernichten und wünschen euren Untergang. Haß aus ihrem Munde wurde schon offenkundig, doch was ihre Brust verbirgt, ist schlimmer. Wir haben euch schon die Zeichen klar gemacht, wenn ihr Verstand besitzt. Sieh! Ihr seid es, die ihr sie liebt, aber sie lieben euch nicht… (3:114-115)
Dieser Vers erhellt den Charakter derartiger Menschen, die in ihren Herzen tiefe Feindschaft und Haß gegen die Muslime verbergen und deren Zungen etwas von den Auswirkungen dieser Feindschaft zum Ausdruck bringen. Allah der Erhabene spricht weiter:
Du wirst kein Volk finden, das an Allah und an den Jüngsten Tag glaubt, und das den liebt, der sich Allah und Seinem Gesandten widersetzt, wären es auch ihre Väter oder ihre Söhne oder ihre Brüder oder ihre Sippe… (58:22)
Gegnerschaft Allahs ist nicht bloß eine Glaubenssache, sondern schließt Feindschaft gegenüber Islam und Muslimen ein. Allah spricht:
O ihr, die glaubt, nehmt nicht Meinen Feind und euren Feind zu Freunden. Ihr zeigt ihnen Liebe, während sie an die Wahrheit, die zu euch gekommen ist, nicht glauben. Sie vertreiben den Gesandten und euch, weil ihr an Allah, euren Herrn glaubt… (60:1)
Dieser Vers wurde im Zusammenhang mit den Ungläubigen Mekkas offenbart, die Allah und Seinem Gesandten (s) Krieg erklärten und die Muslime
einfach deshalb aus ihren Häusern vertrieben, weil sie sagten: „Unser Herr ist Allah.“ Mit solchen Leuten kann Freundschaft und Bündnis nicht erlaubt sein. Trotz alledem hat der Koran die Hoffnung nicht verworfen, daß es eines Tages doch eine Versöhnung geben könne. Er spricht nicht in bloßer Enttäuschung über sie, sondern ermutigt die Muslime, die Hoffnung auf bessere Bedingungen und verbesserte Beziehung aufrecht zu halten, denn in der selben Sure sagt Allah:
Vielleicht, daß Allah zwischen euch und denen unter ihnen, die euch feind sind, Liebe setzt. Denn Allah ist mächtig und Allah ist verzeihend und barmherzig. (60:7)
Diese koranische Aussage versichert, daß die bittere Feindschaft und der tiefe Haß vergehen, wie es auch im hadith heißt:
„Hasse deinen Feind mit Mäßigung, vielleicht wird er eines Tages dein Freund.“(6)
Das Verbot, sich mit den Feinden des Islam zu befreunden, wird noch bedeutsamer, wenn sie stärker als die Muslime sind und die Hoffnungen der Leute zerstören und Furcht in ihnen wecken. In einer solchen Lage befreunden sich nur die Heuchler und die, in deren Herzen Krankheit ist, rasch mit ihnen und unterstützen sie heute, uni morgen davon Nutzen zu ziehen. Diese Situation beschreibt Allah, der Erhabene, folgendermaßen:
Und so siehst du die, deren Herz krank ist, zu ihnen um die Wette laufen und sagen: ,Wir fürchten, ein Glückswechsel mag eintreten.‘ Aber vielleicht bringt Allah den Sieg oder etwas von Sich, so daß sie bereuen, was sie in ihren Herzen verborgen hielten.‘ (5:57)
Und weiter:
Verkünde den Heuchlern, daß ihnen schmerzliche Strafe bestimmt ist. Wer sich die Ungläubigen zu Freunden nimmt statt den Gläubigen, suchen sie etwa Ehre bei ihnen? Siehe, die Ehre ist allein Allahs. (4:137-138)
• Hilfe bei Nichtmuslimen suchen
Es schadet nicht, wenn Muslime, privat oder auf Regierungsebene, Hilfe von Nichtmuslimen in technischen Fragen suchen, die nichts mit der Religion zu Frage haben, wie z.B. bei der Medizin, Industrie oder Landwirtschaft. Gleichzeitig ist es natürlich äußerst wünschenswert, daß die Muslime auf all solchen Gebieten unabhängig werden. Im Leben des Propheten (s) sehen wir, daß er Abdullah bin Uraiqit, einen Polytheisten, als Führer bei seiner Auswanderung (hidschra) von Mekka nach Medina wählte. Manche Gelehrte haben daraus gefolgert, daß der Unglaube eines Menschen nicht zugleich bedeutet, daß man ihm überhaupt kein Vertrauen schenken kann, denn was könnte gefährlicher sein als auf einen Führer zu vertrauen, der den Weg zeigt, besonders beim heimlichen Verlassen Mekkas nach Medina? Noch weitergehend sagen manche Gelehrte, daß es dem Führer der Muslime erlaubt ist, Hilfe bei Nichtmuslimen, besonders den Leuten der Schrift, auch in militärischen Fragen zu suchen und ihnen einen gleichen Anteil an Kriegsbeute wie den Muslimen zu geben. Al-Zuhri berichtet, daß Allahs Gesandter (s) in einem Krieg Unterstützung bei einigen Juden suchte und ihnen einen Anteil von der Kriegsbeute gab, und daß Safwan bin Umajja auf der Seite des Propheten (s) kämpfte, während er noch ein Ungläubiger war.(7) Die Voraussetzung dafür, Hilfe bei einem Nichtmuslim zu suchen, besteht darin, daß die Muslime ihm vertrauen, sonst darf man keine Hilfe bei ihm suchen. Weil es verboten ist, Hilfe bei unzuverlässigen Muslimen zu suchen, die z.B. Gerüchte verbreiten und Angst machen, gilt das im Fall von Ungläubigen erst recht.(8) Der Muslim darf Nichtmuslimen Geschenke geben und von ihnen annehmen. Es genügt hier zu erwähnen, daß der Prophet (s) Geschenke von nichtmuslimischen Herrschern annahm.(9) Hadith-Gelehrte sagen, daß es viele ahadith darüber gibt, daß der Prophet (s) Geschenke von Nichtmuslimen annahm und Umm Salama, eine Frau des Propheten (s), berichtet, daß der Prophet (s) ihr gesagt hat:
„Ich habe dem Negus ein Gewand und Seide geschickt.“(10)
Der Islam achtet den Menschen schon allein deshalb, weil er Mensch ist. Wieviel mehr dann, wenn er zu den Leuten der Schrift und noch mehr, wenn er ein dhimmi ist?
Einmal kam ein Begräbniszug beim Propheten (s) vorüber und er stand auf. Jemand bemerkte: „O Allahs Gesandter, es ist das Begräbnis eines Juden. „ Der Prophet (s) antwortete: „Ist es nicht eine Seele?“(11)
Im Islam hat wirklich jeder Mensch Würde und Platz.
Fußnoten:
(6) Tirmidhi, auch in Baihaqi: schiab al iman, nach Abu Huraira. Sujuti bezeichnet es als „gut“ und überliefert den ersten Teil als: „Liebe deinen Freund mit Mäßigung, er wird vielleicht eines Tages dein Feind.“
(7) Said im sunan
(8) al-mughni Bd.8, 5.41
(9) Ahmad, Tirmidhi
(10) Ahmad, Tabarani
(11) Buchari