In letzter Zeit häufen sich die Fragen junger Muslime zum Thema Homosexualität und die Liebe zum eigenen Geschlecht. Überall wo ich die Gelegenheit bekomme, versuche ich das Thema ein wenig anders zu beleuchten als es eigentlich üblich ist. Besonders wichtig ist für mich in dieser Hinsicht, junge Muslime mit einer homosexuellen Neigung nicht abzuschrecken, sondern ihnen Mut zu machen.
Eine solche Neigung ist eine Prüfung. Für sündhafte Gedanken und Begierden werden wir nicht bestraft, sondern lediglich für die Handlungen, die aus solchen Gedanken und Begierden entstehen können.
Es gibt in einer Schrift des andalusischen Großgelehrten Ibn Hazm einen interessanten Bericht, der ihm von einem Wesir des damaligen Khalifen ‚Abd ar-Rahman ibn al-Hakam zugetragen wurde. Mit diesem Bericht möchte ich hier gern aufzeigen, daß am Ende nicht die Neigung zählt, sondern die Willensstärke im Gehorsam dem Schöpfer gegenüber.
Hier also der Bericht, zu finden in der deutschsprachigen Übersetzung Das Halsband der Taube von Max Weisweiler:
Abul ‚Abbas al-Walid ibn Ghanim erzählt, daß der Kalif ‚Abd ar-Rahman ibn al-Hakam einmal anläßlich eines seiner Kriegszüge für etliche Monate von dannen zog und seinem Sohne Muhammad, der nach ihm das Kalifat bekleidete, den Zutritt zum Schlosse verbot.
Er bestimmte die Dachterrasse als seinen Aufenthaltsort, ließ ihn dort übernachten und auch tagsüber wohnen und erlaubte ihm durchaus nicht, das Dach zu verlassen. Jede Nacht gab er ihm einen Wesir und einen Offizier bei, die mit ihm auf dem Dach übernachten sollten.
Abul ‚Abbas sagte: „In dieser Weise verbrachte er geraume Zeit, und er, der schon etwa zwanzig Jahre alt war, hatte seine Angehörigen lange nicht gesehen, bis gleichzeitig, als ich einmal meinen Nachtdienst bei ihm hatte, ein Offizier an der Reihe war, der noch jung war und ein sehr schönes Antlitz hatte.
Ich sprach zu mir: ‚Ich befürchte, daß Muhammad ibn ‚Abd ar-Rahman heute Nacht dadurch ins Verderben gestürzt wird, daß ihn die Sünde anficht, der Satan ihm seine Trugbilder vorgaukelt und er ihm Folge leistet.‘
Dann nahm ich mein Bett an die äußere Seite des Daches. Muhammads Platz befand sich indessen an der inneren Seite, von der man auf den Harem des Kalifen hinuntersehen konnte, während der des Offiziers am anderen, in der Nähe des Aufgangs befindlichen Ende war.
Ich beobachtete ihn nun aufmerksam die ganze Zeit, während er glaubte, daß ich bereits eingeschlafen sei, und nicht merkte, daß ich ihm zusah.
Als ein Teil der Nacht verstrichen war, sah ich, daß er sich erhoben hatte und eine kleine Weile aufrecht sitzen blieb. Dann betete er um Schutz vor dem Teufel und legte sich wieder auf sein Lager. Nach einiger Zeit erhob er sich wieder, zog sein Hemd über und setzte sich sprungbereit hin. Dann zog er es wieder aus und legte sich abermals zu Bett, bis er sich zum dritten Mal erhob, sein Hemd anzog, die Füße aus dem Bett heraushängen ließ und eine Zeitlang in dieser Lage verharrte.
Darauf rief er den Offizier beim Namen. Als er ihm antwortete, sagte er ihm: ‚Gehe vom Dach hinunter und bleibe auf der darunter befindlichen Vormauer!‘ Gehorsam seinem Befehl erhob sich der Offizier.
Als er hinuntergegangen war, stand Muhammad auf, schloß die Tür von innen zu und ging wieder ins Bett.
Von jener Zeit an wußte ich, daß Gott es gut mit ihm meinte.“